Transparent City
Chicago hat, wie viele städtische Zentren in der ganzen Welt, in jüngster Zeit eine Welle von Neubauten erlebt, die eine neue Dimension von architektonischen Experimenten, auf die der vergangenen Epochen aufpfropft. Anfang 2007 lud das Museum für Zeitgenössische Fotografie mit Unterstützung von U.S. Equities Realty Michael Wolf als Artist-in-Residence ein, um dieses Phänomen zu dokumentieren. Wolf brachte seine einzigartige Perspektive auf sich verändernde urbane Umgebungen in eine Stadt ein, die für ihr architektonisches Erbe bekannt ist, und entschied sich dafür, das zentrale Stadtzentrum zu fotografieren, wobei er sich speziell auf Fragen des Voyeurismus und der zeitgenössischen Stadtlandschaft im Wandel konzentrierte. Dies war Wolfs erstes Werk, das sich mit einer amerikanischen Stadt befasst. Während frühere Serien humanisierende Details in der umgebenden Geometrie der Stadtlandschaft einander gegenübergestellt haben, sind seine Details in ‘Transparent City’ Fragmente des Lebens – digital verzerrt und übervergrösert –, die heimlich mit Teleobjektiven aufgenommen wurden. ‘In Wolfs dramatisch geometrischen, fast abstrakten Fotografien von Chicagos Loop-Türmen ist der Boden nirgendwo in Sicht. Aufgenommen von strategisch ausgewählten Dächern und perfekt gedruckt in einem treffend grossen, vertikalen Buch sind Wolfs subtil modulierte Farbfotografien monumentale Studien in Grau, Weiss, Schwarz, Gold und gelegentlichen Spritzern von Grün und Blau. Mit ihren eleganten Gittern, nuancierten Variationen und ihrer Stille erinnern diese Bilder an die minimalistischen Gemälde von Agnes Martin, und doch ist dies die reale Welt, und reale Menschen bewohnen diese riesigen zellularen Gebäude, diese kastenförmigen Bienenstöcke, diese menschlichen Aktenschränke, und Wolf findet sie mit seiner verstohlenen, aufdringlichen Linse, wobei er meist allein einen Fernseher oder Computer betrachtet. Die Beleuchtung ist exquisit stimmungsvoll, jeder beleuchtete Innenraum ist eine Leinwand oder Bühne, jede menschliche Figur so ergreifend wie die in den Gemälden von Edward Hopper, den der Künstler Wolf, der für seine früheren Bücher über China gefeiert wurde, als Einfluss zitiert. Mit Andeutungen von Überwachung und Verwundbarkeit wirken diese intensiv schönen Stadtlandschaften streng und unmenschlich, bis man auf einem vergrösserten Bild eines Mannes landet, der dem fernen Fotografen den Finger zeigt.’ – Donna Seemann