Learning To Live
"Und wer Angst vor dem Sterben hat, der lernt nie zu leben."
– Amanda Mcbroom
'Das Projekt mit dem Titel Learning To Live ist meine Antwort und Neuinterpretation eines Liedes aus meiner Kindheitserinnerung und zwar 'The Rose' von Bette Midler. Seit den späten 80ern, genauer gesagt seit der Olympiade in Seoul 1988, konnte sich jeder Bürger einen Reisepass ausstellen lassen, und einige von ihnen begannen, ins Ausland zu reisen. Aus diesem Grund gab es auf dem Bildungsmarkt viele Möglichkeiten, Englisch zu lernen. Englisch lernen durch Popsongs war eine davon. Obwohl ich in Seoul lebte und überhaupt kein Englisch sprach, hörte ich das Lied und die Übersetzung des Textes, weil meine Mutter die Kassette auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Weg nach Hause hörte, nachdem sie mich von der Schule abgeholt hatte. In meinen ersten Grundschuljahren machte mir der Text große Angst. Es schien um die Liebe und das Leben zu gehen. Ich wusste nicht, was Liebe ist, also war mir dieser Teil egal, aber es gab einen ziemlich deprimierenden Teil über das Leben für ein Kind; "und wer Angst vor dem Sterben hat, der lernt nie zu leben."
Das hörte sich an, als würde man mir sagen: "Du wirst nicht lernen können, wie man für immer und ewig lebt. Wie kann ein Mensch keine Angst vor dem Sterben haben? Die Erinnerung kam mir in diesen zwei Jahren in den Sinn, als ich immer wieder Nachrichten über jemanden hörte, der jemanden verloren hatte. Das brachte mich dazu, den Rosengarten genauer zu betrachten. Bevor ich die Rose wirklich beobachtete, dachte ich, die Rose sei eine Blume, die sehr langsam verblüht. Aber mir ist klar geworden, dass sie nicht länger halten, sondern dass die eine, die zu blühen beginnt, und die andere, die stirbt, in einer Wurzel nebeneinander bestehen; anders als bei Blumen wie der Kirschblüte, genau wie in unserem Leben. Deshalb habe ich bei diesem Projekt versucht, die Schönheit der Rosen zu erforschen, ohne sie zu schneiden, neu zu arrangieren oder die verwelkten Blätter zu entfernen – so wie sie in der Mitte ihres Lebens sind. Heute weiß ich, dass das Leben und sein Ende keine Frage der "Angst" ist, sondern etwas, das wir alle unweigerlich akzeptieren müssen. Aber manchmal weiß ich nicht, wie, denn ich lerne immer noch zu leben.' – Ahn Jun
Self-Portrait
'Mein Selbstporträt ist eine Performance ohne Publikum, die aus dem Grund fotografiert werden muss, da es sich um ein Porträt meines Begehrens und nicht der Realität handelt. Es gibt einen Tag aus meiner Jugendzeit, an den ich mich erinnere. Ich sass am Rande des Fensters in meiner Wohnung in New York und blickte über das Stadtbild. Ich dachte darüber nach, wie meine Jugend zu Ende ging, und konnte mir meine Zukunft nicht vorstellen. Ich blickte nach unten und sah den leeren Raum, die Leere. Ich spürte eine plötzliche Veränderung in meiner Perspektive auf Leben und Tod, auf Gegenwart und Zukunft. Die Ansicht der Stadt vor mir war nicht mehr ‘real’. I fühlte, dass die Illusion der schönen Gebäude wie eine Zukunft oder unerreichbare Ideale darstellen, die uns irgendwie immer noch umgeben. Die Leere war die Gegenwart für mich. Ich nahm ein Bild von meinem Fuss auf. Das war der Beginn meines Projekts.’
– Jun Ahn
Für Jun Ahn ist die Welt der Ort, an dem sich Illusion und Realität ständig treffen und kollidieren. Die Fotografie ist genau die perfekte Technik dafür, um dies einzufangen und dadurch die Illusion zur Realität zu machen. Ihre Arbeiten beschreiben unseren Alltag an der Grenze zwischen diesen beiden unterschiedlichen, aber auch miteinander verbundenen Konzepten. Deshalb sind ihr Körper und ihr Blick gefährlich nahe am Abgrund positioniert und erzeugt somit Nervenkitzel im jeweilig festgehaltenen Moment.
One Life/Gravity
Jun Ahns Fotografien aus der Serie ‘One Life’ wurden zwischen 2013 und 2018 in Seoul, Japan, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Irland und anderen Regionen der Welt aufgenommen. In ihren Werken nahm Ahn den in der Luft schwebende Apfel mit einer hohen Verschlusszeit auf. Während des Bearbeitungsprozesses wählte Ahn Bilder aus, wo die Äpfel geradezu in der Luft zu schweben scheinen, als ob sie sich gegen die Schwerkraft und ihr Schicksal selbst auflehnen würden, und versucht dabei, die Transzendenz von Momenten aufzudecken, denen der gesamte Kontext entzogen wurde. Die Künstlerin verleiht dadurch einer eigentümlichen Metapher, ihrer Sicht auf Leben und Tod (Leben als Prozess zum Tod), Gestalt, die sich in ihr selbst nach dem Tod ihres Grossvaters entwickelt hat.
‘Wie visualisiere ich Leben und Tod und präsentiere diese Thematik dem Betrachter? Ein Verständnis des Lebens hilft nicht, unsere angeborene Angst zu lindern; aber das wiederum verleiht den Momenten, die als Wechselspiel von Zufall und Unvermeidlichkeit entstanden sind, ihre besondere Schönheit.’ – Jun Ahn
Invisible Seascape
'Invisible Seascape (2010-)" ist eine digital kombinierte Darstellung der Natur auf der Grundlage eines fotografischen Hochgeschwindigkeitsbildes der Welle. Es kam mir in den Sinn, weil ich den Wunsch hatte, meine eigenen Fussstapfen zu sehen. Ich fahre auf einem Schiff und mache ein Hochgeschwindigkeitsbild der Welle, die von einem Schiff erzeugt wird, während ich an der gleichen Stelle stehe. Dann mache ich eine digitale Collage aus den Zeitteilchen und rekonstruiere sie als eine abstrakte Landschaft. Daher erscheint es als Bild einer Meereslandschaft, aber es ist eine Meereslandschaft, die nirgendwo in der Natur zu finden ist.' – Jun Ahn
The Tempest
Float
‘Auf einer Landdeponie am Strand von Yeosu regneten die Steine ständig vom Förderband herunter, als wären es schwarze Vorhänge, die laut klirrende Geräusche machten. Neugierig, wie sie aussehen, wenn sie herunterfallen, fotografierte ich sie mit schneller Verschlusszeit, und das Phänomen stoppte seine Bewegung erst, als die Geschwindigkeit auf 1/8000s stieg. Als der Akt des Fallens umgedreht wurde, um so auszusehen, als würde er schweben, war da das Universum, das ich gespürt hatte, als ich in meiner Jugend Carl Sagan las. Die Szene war nicht existent, da sie unsichtbar ist, es sei denn, ich bringe sie zum Leben, indem ich sie mit der Kamera festhalte, so wie unser Leben von irgendwo aus dem fernen Universum betrachtet wird. Seitdem begann mein jährliches Projekt "Float", bei dem ich Zehntausende von Aufnahmen der herabfallenden Steine in hoher Bildfrequenz mache und dann 10-15 Bilder auswähle und ausdrucke, die die verborgene Schönheit enthüllen, die ausserhalb der erkennbaren Grenzen zu finden ist, da sie nur in dem Moment auftaucht, in dem sich die Chance des fallenden Phänomens und die Unvermeidbarkeit, die in dem absichtlichen Akt des Fotografierens enthalten ist, überschneiden. Jeder Augenblick und jedes Phänomen pendelt endlos zwischen 'Existenz' und 'Abwesenheit'. Der momentane Raum und die Stille dazwischen, das unbewegte Antlitz des Phänomens, das das fallende Schicksal und die nur für das Auge der Kamera sichtbare Zeit transzendiert. Die Gegenwart eines bestimmten Lebens und Phänomens ist auf solche Weise über die Gegenwart hinaus, wenn sie ausserhalb des Kontextes gestellt wird. Die Dinge, die uns formen, die uns umgeben, sind das geheimnisvolle Universum und unzählige Träume, und die Zeit der gleichen Momente versammelt sich, um unser Leben zu komponieren. Auf diese Weise driftet unser Leben irgendwo in der kosmischen Zeit und im kosmischen Raum.’ - Jun Ahn