Die Christophe Guye Galerie freut sich sehr, die zweite Einzelausstellung der Koreanischen Künstlerin Jun Ahn (*1981) 'On Gravity' in der Galerie anzukündigen. Die Ausstellung zeigt Werke aus vier verschiedenen Serien – ‚One Life/Gravity‘, 'Liberation’, 'Invisible Seascape’ und ‚Lucid Dream’, die alle in gewisser Weise mit dem Thema der Schwerkraft und ihrer scheinbaren Überwindung verbunden sind. Zu diesem Anlass wird die Ausstellung in der gesamten Galerie zu sehen sein. In den Serien ‘One Life/Gravity’ und ‘Liberation’ wirft Jun Ahn wiederholt Gegenstände wie Äpfel und Steine in die Luft und fotografiert sie mit einer kurzen Belichtungszeit. Während des Bearbeitungsprozesses wählt Ahn dann Bilder aus, wo diese Objekte geradezu in der Luft zu schweben scheinen, als ob sie sich gegen die Schwerkraft und ihr Schicksal selbst auflehnen würden, und versucht dabei, die Transzendenz von Momenten aufzudecken, denen der gesamte Kontext entzogen wurde. Die Serie ‘Invisible Seascape’ erscheint als Bilder von Meereslandschaften. Es sind jedoch Meereslandschaften, die es so in der Natur nicht gibt. Jun Ahn kreiert digital kombinierte Collagen auf der Grundlage von unzähligen Aufnahmen von Wellen in Hochgeschwindigkeit. Jedes Werk ist eine komponierte Szenerie aus Wellen, die von Schiffen erzeugt werden, auf denen sich die Künstlerin befindet. Die dargestellte Natur besteht also aus Komponenten ihrer Reisen auf dem Meer. ‘Lucid Dream’ entstand während der Pandemie, zu einem Zeitpunkt, während welchem das Meer, der Himmel und die Vögel für viele Menschen Symbole der Freiheit und der Träume sind. Die Serie ist eine Hommage an den Traum vom Fliegen, den Jun Ahn seit ihrer Kindheit immer wieder geträumt hat.



‘Meine Mutter erinnert sich noch an den Tag, an dem ich ihr sagte, dass ich nicht mehr erwachsen werden wollte. Ich kann mich auch an diesen Tag erinnern. Als ich etwa sieben Jahre alt war, dachte ich, dass es in Ordnung wäre, nicht erwachsen zu werden, wenn ich dafür nicht sehen würde, wie meine Eltern älter werden. Vielleicht war das der erste Tag in meinem Leben, an dem ich wirklich über das Altern und Sterben nachgedacht habe. Auch wenn sich niemand das Leben selbst aussuchen kann, müssen sich alle mit dem Verlust und dem Tod auseinandersetzen, wenn sie einmal hier sind. An diesem Tag wurde mir klar, dass das Leben letztendlich ein Prozess des Sterbens ist, ähnlich wie ein Gegenstand, der in eine Umgebung mit Schwerkraft geworfen wird. Das Leben entsteht ohne ersichtlichen Grund oder eigene Entscheidung und ist unweigerlich mit dem Tod konfrontiert, wenn es einmal begonnen hat. Genauso wie auch ein Gegenstand, der in die Luft geworfen wird, herunterfällt und am Ende auf dem Boden zerbricht. Wir bezeichnen diesen Prozess als 'freien Fall'. Ich dachte immer, der Begriff 'freier Fall' ist eine unpassende Bezeichnung. Wenn sich ein Objekt in der Luft im freien Fall befindet, hat es keine Möglichkeit, sich dem zu widersetzen oder etwas anderes zu tun, als zu fallen. Warum verwenden wir das Wort ‘frei’ in solch einem Zusammenhang?


Aus diesem Grund werden in vielen meiner konzeptuellen Arbeiten die ‘Schwerkraft’ und das Phänomen des ‘freien Falls’ als Metapher für ‘memento mori’ verwendet. Als Fotografin, die mit Hilfe der Hochgeschwindigkeitsfotografie die Struktur der Welt jenseits unserer visuellen Wahrnehmung erforscht, beziehen sich meine Arbeiten häufig auf das Phänomen des freien Falls. Mit der Unvermeidlichkeit des eigenen Lebens geht die Ungewissheit einher, wie es zu Ende gehen wird, wenn es einmal begonnen hat. Ich betrachte das Leben als ein ‘Phänomen’, das eine eigene Zeitdauer hat. Gleichzeitig betrachte ich den freien Fall eines Gegenstandes auch als ein Phänomen, das aber kürzer dauert als unser Leben. Wenn das Leben also ein Prozess des Sterbens ist, möchte ich die damit einhergehende Schönheit in meiner Arbeit einfangen. Für meine frühere Serie ‘Self-Portrait’ habe ich meinen Körper an den Rand zeitgenössischer Architektur gestellt, vor der Leere zwischen Hochhäusern und der spektakulären Ansicht der Stadt. In den darauf folgenden Serien geht es um die Schönheit der Koordination von Objekten während dem Phänomen des freien Falls. Und ich stelle sie mittels der Fotografie und Performances dar, die ich immer wieder durchführe.


Ich bitte meine Familie oder Freunde, Äpfel oder Steine immer wieder in die Luft zu werfen. Um den Moment der Willkür und des Zufalls, in der wiederholten Durchführung des freien Falls im Sinne des ‘Lebens’ von Gegenständen festzuhalten, ist es schwer, an andere zu denken als an meine Eltern, meine Schwester, meinen Mann und meine Grossmutter, die letztes Jahr verstorben ist. Obwohl ich mir als Kind gewünscht habe, nicht erwachsen zu werden, bin ich jetzt älter als damals meine Mutter, die gerade von ihrer Tochter gehört hatte, dass sie nicht bereit für das Altern ihrer Mutter sei. In der Zeit, in der ich erwachsen geworden bin, hat sich die Erde um ihre eigene Achse sowie auch um die Sonne gedreht. Und selbst das Sonnensystem rotiert innerhalb der Galaxie, ja sogar die Galaxie bewegt sich im Raum des Universums. Im unendlichen Raum bleibt also nie jemand am selben Ort stehen. Trotz der Geschwindigkeit, mit der wir uns im Universum fortbewegen, trotz der im Vergleich zu unserer Umgebung sehr kurzen Lebenszeit, begegnen sich die Menschen und verlieren sich auch wieder. Was gefeiert wird, woran man sich erinnert, nachdem die Zeit vergangen ist, sind die wunderschönen Begegnungen, die wir in einem bestimmten Moment hatten.’ – Jun Ahn