Die Christophe Guye Galerie freut sich sehr, die dritte Einzelausstellung der japanischen Künstlerin Rinko Kawauchi (*1972, Shiga, Japan) in der Galerie anzukündigen. Die Retrospektive zeigt Werke aus acht verschiedenen Serien – 'Utatane', 'Hanabi', 'the eyes, the ears,', 'Illuminance', 'Ametsuchi', 'Halo' sowie ihre neuesten Serien 'M/E' und 'as it is' – und umfasst 40 Abzüge aus den Jahren 2001 bis 2021.
Inspiriert vom Shinto, einer japanischen Religion, die sich der heiligen Essenz der Natur widmet, ist für Rinko Kawauchi kein Thema zu unbedeutend oder zu banal, um fotografiert zu werden. Seit Beginn ihrer fotografischen Karriere zeichnen sich Kawauchis Werke durch eine einzigartige Ästhetik und Stimmung aus, indem sie intime, poetische und schöne Momente der Welt um sie herum festhalten. Oft haben sie brillantes und strahlendes Licht, das ihnen eine traumähnliche Qualität verleiht. Ihre Motive können vergänglich sein, aber in gewisser Weise bestimmen sie die Fragilität der Existenz. Und gerade wegen dieser Annäherung an die Realität in den kleinsten Details - von denen die meisten oft unbemerkt bleiben - wurden Rinko Kawauchis Werke immer wieder als visuelle Haikus bezeichnet und ihrem Schaffen ein gewisses japanisches Flair zugeschrieben. Andererseits, wie der Fotografie-Kritiker und Fotografie-Historiker Kōtarō Iizawa betont, lässt sich ihre Fotografie nicht unbedingt in eine Kategorie einordnen, die man als ‘japanischen Stil‘ bezeichnen würde. Rinko Kawauchis Fotografie hat die Grenzen des japanischen Stils überschritten und eine Ebene erreicht, auf der sie für universelle Werte steht.
2001 wurde Rinko Kawauchi praktisch über Nacht berühmt, als sie den Kimura-Ihei-Preis, den wichtigsten Nachwuchs-Fotopreis Japans gewann. Kurz daraufhin veröffentlichte sie, als erste japanische Fotografin überhaupt, drei Bücher gleichzeitig: Utatane (Schläfchen), Hanabi (Feuerwerk) und Hanako, eine intime Studie eines gleichnamigen jungen Mädchens. Rinko Kawauchi ist Preisträgerin des renommierten Annual Infinity Awards 2009 vom New Yorker International Center of Photography, in der Kategorie Kunst, und wurde 2012 für den Deutsche Börse Photography Prize nominiert. Die Künstlerin hatte schon zahlreiche wichtige Einzelausstellungen, u.a. in der Fondation Cartier pour l’art Contemporain in Paris, im California Museum of Photography in Riverside, Hasselblad Centre in Göteborg, Museu de Arte Moderna de São Paulo, Metropolitan Museum of Photography in Tokio, ARGOS Centrum voor Kunst en Media in Brüssel, in der Londoner Photographers’ Gallery, oder dem Vangi Sculpture Garden Museum in Shizuoka. Zudem zeigte sie ihre Werke in bedeutungsvollen Gruppenausstellungen wie im Huis Marseille in Amsterdam, im Le Mois de la Photo à Montréal, an der Brighton Photo Biennial 2010, im Toyota Municipal Museum of Art in Aichi oder im Art Museum NO-MA in Shiga.
– Utatane
An die japanische Fotografie der 1960er Jahre erinnernd, zeigen Rinko Kawauchis Arbeiten aus der Serie 'Utatane' (japanischer Begriff für 'Nickerchen') die Suche nach dem Erhabenen inmitten des Banalen. Ein Ballon, der in den Himmel fliegt, die Spiegelung der Sonne auf einer Wasseroberfläche, ein fliegendes Schmetterlingspaar und ein zerrissenes Netz. Das sind die Details des Alltags, die man allzu leicht übersieht. Durch die Linse von Kawauchis Kamera betrachtet, erstrahlt das Gewöhnliche jedoch in funkelnden Lichtmustern. Eine anmutige Betrachtung der Sterblichkeit, welche die Finesse und das Geschick der Künstlerin beim Erzählen einer fotografischen Geschichte aufzeigt.
– Hanabi
Ihre Serie 'Hanabi' (japanischer Begriff für 'Feuerwerk') zeigt die Vision der Fotografin von einer Feuerwerksshow. Die Brise der Sommernächte, die Schritte von Kindern, die an einem Flussufer entlanglaufen oder Wolken, die warme Schauer ankündigen sind gleichzeitig nostalgisch, schön und melancholisch. Wir werden von einem Tanz der Lichter und Farben in den Bann gezogen, und im Handumdrehen geht ein elegantes und sinnliches Fest zu Ende und wir fragen uns, was Kawauchi in dem Feuerwerk gesehen hat und was sich dahinter verbirgt.
– the eyes, the ears,
Das wesentliche Merkmal von 'the eyes, the ears,' ist die perfekte Übereinstimmung zwischen Bild und Text. Über das gesamte Buch hinweg werden Bilder zusammen mit kurzen Haiku-Gedichten präsentiert, die von der Autorin selbst geschrieben wurden. Diese Gedichte bilden eine feine, grazile Erzählung, die uns so sanft durch die Bilder führt wie das Flattern eines Schmetterlings an einem Frühlingsnachmittag. Das Buch ist, wie der Titel und das Cover zeigen, den Sinnen gewidmet und eine Einladung, alle vorgefassten Vorstellungen der Welt zu vergessen und sie vielmehr auf einer tieferen, intimeren Ebene zu spüren.
– Illuminance
In ‘Illuminance‘ setzt Kawauchi ihre Erforschung des Aussergewöhnlichen im Alltäglichen fort, wobei sie sich auf die grundlegenden Zyklen des Lebens und die scheinbar unbeabsichtigte, fraktale Organisation der natürlichen Welt in formale Muster bezieht. Inspiriert von der subtilen Ästhetik des Wabi-Sabi - einer Philosophie der Reduktion, der Bescheidenheit und der Schönheit der Unvollkommenheit - bieten diese leuchtenden Bilder einen bezaubernden Blick auf die Welt um uns herum.
– Ametsuchi
In ihrer Serie 'Ametsuchi' verlagert die Künstlerin ihre Aufmerksamkeit vom Mikro- zum Makrobereich und konzentriert sich dabei auf die Vulkanlandschaft des japanischen Berges Aso – ein berühmter Ort für Shinto-Rituale. Der Titel 'Ametsuchi' setzt sich aus zwei japanischen Schriftzeichen zusammen, die 'Himmel und Erde' bedeuten, und ist dem Titel eines der ältesten Pangramme der japanischen Sprache entnommen - einem Gesang, in dem jedes Zeichen der japanischen Silbenschrift verwendet wird. In dieser Werkgruppe versammelt Kawauchi Bilder von fernen Konstellationen und winzigen Figuren, die sich in Landschaften verlieren, sowie Fotografien eines traditionellen Stils der kontrollierten Brandrodung (Yakihata), bei dem sich die Zyklen von Anbau und Erholung über Jahrzehnte und Generationen erstrecken. Die Serie wird von Bildern buddhistischer Rituale und anderer religiöser Zeremonien durchbrochen - eine Andeutung anderer Mittel, mit denen die Menschheit traditionell versucht hat, Zeit und Erinnerung zu überwinden.
– Halo
Rinko Kawauchis Serie 'Halo', in der die Künstlerin ihre 2013 mit der Serie 'Ametsuchi' begonnene Auseinandersetzung mit der Spiritualität erweitert, besteht aus drei miteinander verwobenen Abschnitten, die sich auf unterschiedliche spirituelle Traditionen konzentrieren. Einer der drei Abschnitte zeigt die unzähligen Zugvögel, die im Winter in ganz Europa auftauchen und mit ihren Bewegungen fast wie ein Tanz wirken, bei dem sich kleinere Schwärme, einer nach dem anderen, zu einem massiven, kollektiven Körper zusammenfinden - ein Phänomen, das der menschlichen Gesellschaft selbst ähnelt und die unidentifizierbare Kraft spürt, die durch die Zugehörigkeit zu einer großen Menschenmenge entsteht. Ein anderer Teil der Serie zeigt das alte Fest 'DaShuhua' in der Provinz Hebei in China, das entstand, als die Menschen begannen, geschmolzenes Eisen gegen die Stadtmauern zu werfen, als das Äquivalent der armen Leute zu einem schönen, aber teuren Feuerwerk - eine Sehnsucht, Schönheit zu erleben, selbst unter den schlimmsten Bedingungen. Der dritte Teil ist dem japanischen Festival 'Kami Mukae Sai' in Izumo gewidmet. Während des 10. Monats des japanischen Mondkalenders ('Kannazuki') sollen die Shinto-Götter in der Region Izumo zusammenkommen. Die Menschen begrüssen sie mit heiligen Flammen, die an den Ufern aufleuchten, während die Zuschauer zuschauen. 'Die Lichter blitzen und brechen sich gegen die Regentropfen, und sie glitzern. Die Gedanken der Menschen im Gebet, die auch für das menschliche Auge unsichtbar sind, nehmen Gestalt an und spiegeln sich in den Tropfen wider'. - Rinko Kawauchi
– as it is
Ein blauer Himmel. Ein schimmernder Fluss. Die Geburt eines neuen Lebens. Dies sind die ersten drei Fotografien aus Rinko Kawauchis Buch 'as it is'. Dieses neue Werk kehrt zu Kawauchis früherem fotografischen Fokus auf ihr persönliches Universum durch Familie, Erinnerung und Zeit zurück. Dieses Buch zeigt eine Abfolge von alltäglichen Momenten und Gesten - ein Spinnennetz, eine Reisschüssel, eine kleine Hand, die auf ein Insekt zeigt - sowie bedeutendere Momente - die ersten Schritte ihrer Tochter, Familienausflüge, das Hinscheiden eines nahen Verwandten. Die persönliche Erzählung des Buches wird durch ein Foto eines Küchenfensters unterbrochen, das den Lauf der Jahreszeiten zeigt, und kurze Texte von Kawauchi selbst sind in die Sequenz eingestreut. Die Seiten navigieren zwischen Innen und Aussen, immer in unmittelbarer Nähe, während Kawauchi mit ihrem einzigartigen Blick mühelos die flüchtige Schönheit der Momente dazwischen einfängt und die Geschichte einer gewöhnlichen Familie erzählt, die das Leben so nimmt, wie es ist.
– M/E
M/E ist eine neue Serie, an der Kawauchi 2019 begonnen hat zu arbeiten. Die Buchstaben stehen für ‘Mother‘ (‘Mutter‘) und ‘Earth‘ (‘Erde‘) und verbinden sich zu ‘Mother Earth‘ (‘Mutter Erde‘) und ‘Me‘ (‘Ich‘). Auf den ersten Blick mögen die Bilder von den Vulkanen und Eisschollen Islands und den Schneelandschaften Hokkaidos weit entfernt und ohne Bezug zu den Alltagsszenen der COVID-19-Pandemie erscheinen, die sie in der Serie begleiten. Beide Arten von Bildern zeigen jedoch Ereignisse, die sich gegenwärtig auf unserem Planeten abspielen, und Kawauchis künstlerisches Schaffen macht uns auf die Verbindung zwischen ihnen aufmerksam. Diese Serie lädt den Betrachter dazu ein, eine Reihe von Fragen über die Funktionsweise des menschlichen Lebens und unsere Beziehung zur Natur zu überdenken.
Statement der Künstlerin zu M/E
‘Manche Dinge lassen sich nur dadurch erreichen, dass ich meinen Körper bewege und mich meinem fotografischen Motiv frontal gegenüberstelle. Ich habe festgestellt, dass dies ein effektiver Weg ist, um mich - wenn auch schrittweise - der unbeantwortbaren Frage zu nähern, warum ich mich gerade hier und jetzt in diesem Leben befinde. Nachdem ich mehr als dreissig Jahre auf diese Weise gelebt habe, verspürte ich den Wunsch, den Boden, auf dem ich stehe, noch einmal zu vergegenwärtigen. Nicht in Bezug auf regionale oder nationale Grenzen, sondern auf die Tatsache, dass ich mich auf einem Planeten befinde. Als ich im Sommer 2019 Island besuchte – ich war zuvor nur ein einziges Mal vor etwa zwanzig Jahren dort – wurde dieser Wunsch erfüllt. Ich sah Geysire, die wie der Atem des Planeten aussahen, und Gletscher die weit über jede menschliche Zeit hinausgehen. Und was ich sah, schien meine eigene Existenz zu erleuchten. Ein Erlebnis im Inneren eines schlafenden Vulkans hinterliess einen besonders starken Eindruck. Als ich nach oben blickte, sah ich Licht, das durch den Krater über mir einfiel, und seine Form erinnerte an weibliche Genitalien. Bei diesem Anblick hatte ich das Gefühl, ein Fötus zu sein, der von der Erde umhüllt ist, und ich fühlte eine Verbindung zu diesem Planeten, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Meine Pläne, Island im Winter erneut zu besuchen, um diese Verbindungen tiefer zu ergründen, wurden durch COVID-19 durchkreuzt. Unter anderem deshalb besuchte ich im Winter des letzten Jahres mehrmals Hokkaido. Dort habe ich Dinge gesehen, die man nur in der bittersten Kälte sehen kann, und mir wurde bewusst, wie klein und zerbrechlich mein eigener Körper wirklich ist. Man nehme die Anfangsbuchstaben von 'Mother Earth' (‘Mutter Erde‘) und das Ergebnis ist 'M/E' (‘Ich‘). Als ich diese beiden Buchstaben ausschrieb, fühlte ich eine Verbindung zwischen allen Dingen, angefangen bei denen, die so riesig sind, dass man sie mit blossem Auge nicht in ihrer vollen Form erfassen kann, bis hin zu den kleinsten Individuen – und ich wurde an das geheimnisvolle Gefühl der Inversion und Einheit zwischen dem Planeten und mir selbst erinnert, wie ich es unter dem Vulkankrater erlebte.‘