An Apparition Of Memory
Unter einem Mantel aus Kalk und Salzkristallen scheinen die Blumen für die Ewigkeit erhalten zu bleiben. Für einen kurzen Moment glauben wir, die Zeit zu stoppen und die Schönheit und Zerbrechlichkeit des Lebens bewahren zu können. Meine prozessorientierte Arbeit reflektiert die Fragilität des ökologischen Gleichgewichts unseres Planeten, stellt unseren Begriff der Vergänglichkeit in Frage, zeigt aber auch poetisch die Schönheit und Zärtlichkeit von Welken und Verfall.
A Gaze of One's Own
Brigitte Lustenbergers Arbeiten kreisen seit jeher um Themen wie Erinnerung, Tod und Vergänglichkeit, die Schönheit des Verschwindens und des Verfalls: universelle Themen, die tief in die Erfahrung der menschlichen Existenz eingebettet sind. Sie stellt sie dar und vermittelt sie durch eine komplexe und einzigartige visuelle Sprache, die hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich auf dem fotografischen Bild basiert.
Während viele ihrer bisherigen Serien Elemente aus ihrem persönlichen Leben enthalten, ist ‘A Gaze of One's Own’, betitelt in Anlehnung an Virginia Woolfs Essay 'A Room of One's Own', ihr erstes Projekt, das explizit auf ihrer eigenen Erfahrung beruht und in dem sie als Künstlerin ihren Blick auf ihre eigene Intimität und ihren Körper richtet. Dieses Projekt beschäftigt sich mit Fragen der künstlerischen und kulturellen Repräsentation des weiblichen Körpers und der Rückgewinnung des Blicks vor dem Hintergrund ihres eigenen alternden und sich verändernden Körpers.
Ihre Arbeit ist immer von ihrem umfangreichen Wissen - oder vielmehr ihrer bemerkenswerten Assimilation - über die Geschichte der Fotografie geprägt. Obwohl es nicht möglich ist, einen einzelnen bahnbrechenden Einfluss in ihrem Werk auszumachen, verweisen ihre Bilder mühelos auf Arbeiten von Man Ray, Balthasar Burkhard, Edward Weston oder Francesca Woodman, um nur einige zu nennen. ‘A Gaze of One's Own’ ist dennoch entschieden zeitgenössisch in seinem Ansatz. Es behält eine performative Dimension bei, die für bedeutende feministische künstlerische Praktiken seit den 1970er Jahren charakteristisch war, und ist gleichermassen mit der Performance der Selbstdarstellung verbunden, die durch die sozialen Medien im letzten Jahrzehnt geprägt wurde, die den Bereich der Selbstdarstellung mit unzähligen Werkzeugen - und den dazugehörigen Normen - zur Bearbeitung und Umgestaltung von Körpern und Merkmalen erweitert haben.
Ihr Projekt reflektiert und spiegelt die Intensität der Beziehung zum eigenen Körper im 21. Jahrhundert wider, das Bedürfnis, ihn zu betrachten und sich ein eigenes Bild zu machen. Es konfrontiert und kombiniert Imperative, die in dieser besonderen Zeit manchmal widersprüchlich sind: den Blick zurückzufordern und gleichzeitig eine Form der Selbstrepräsentation anzubieten. Vor fast über einem Jahrhundert plädierte Woolf für einen buchstäblichen und figurativen Raum für Schriftstellerinnen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich Lustenberger auf einen ähnlichen Prozess der Emanzipation ihres eigenen Blicks ein. Dieser ist geprägt von den jahrhundertelangen, vorwiegend männlichen Darstellungen des nackten weiblichen Körpers, aber auch davon befreit: 'Ich fotografiere mich selbst, weil ich mich nicht objektivieren kann.'
Die Vergänglichkeit des weiblichen Körpers, und insbesondere ihres eigenen, ist ein weiteres zentrales Element dieser Arbeit, das einen unerwarteten Freiraum gebracht hat. Da sich die Kunstgeschichte in erster Linie auf die Darstellung junger und konventionell schöner Körper konzentriert hat, ist der eigene Körper mittleren Alters der Künstlerin weniger durch das Gewicht tausender bereits existierender Darstellungen belastet.
‘A Gaze of One's Own’ spricht somit wichtige Themen an, die mit Sichtbarkeit, Repräsentation und dem Blick verbunden sind, und tut dies mit einer mutigen Verletzlichkeit, sowohl in Bezug auf die Offenlegung der eigenen Intimität und der persönlichen Beziehung zum eigenen Körper als auch in Bezug auf die Annahme eines performativen und prozessbasierten Projekts.
– (aus dem Englischen übersetzt) Danaé Panchaud, Direktorin/Kuratorin Photoforum Pasquart
This sense of wonder
'Ich arbeite an einer Multimedia-Installation mit dem Titel 'Dieses Gefühl des Staunens'. Sie ist als grosses Happening konzipiert und wird nicht nur die Neugierde der Zuschauer wecken, sondern auch ihre Teilnahme. [...] Keine Kamera kann den flüchtigen Augenblick zwischen Leben und Tod einfangen, aber sie kann die Zeit davor und danach, die Zeit des Verwelkens und des Verfalls, einfangen. Meine Installation gibt den Betrachtern ein Verständnis für ihre eigene Vergänglichkeit und führt sie in die Wunder des Todes und seiner Überreste. Drucke, Projektionen, Skulpturen und viele verschiedene Licht- und Sichtgeräte lösen ein unbehagliches Vergnügen aus, das Ehrfurcht und Furcht, Unglauben oder sogar Abscheu miteinander verbindet. Wir tauchen in ein modernes und doch barockes Universum ein. [...] In meiner ortsspezifischen Installation läuft der Betrachter um Diaprojektoren, Leuchtkästen, Lichtpulte, selbst entworfene Leuchten, Diabetrachtungssets und nicht zuletzt fotografische Abzüge herum. Ich konzentriere mich auf das Experimentieren mit dem Setting und der Inszenierung fotografischer Bilder. Meine Bilder spiegeln die Geschichte der Medien und ihre Funktion wider. Die Fotografie scheint der Sterblichkeit Momente der Zeit zu entreissen. Aber die festgehaltenen Momente sind nicht mehr als Darstellungen der Vergangenheit, die in der Schönheit des Verfalls verweilen. Sie sind vergänglich wie das elektronische Licht, das die Projektoren antreibt: Sobald die Stromzufuhr unterbrochen wird, verblassen die Bilder spurlos in der Dunkelheit'. – Brigitte Lustenberger
Watching
In Brigitte Lustenbergers Serie 'Watching' weicht ein dunkles, quadratisches Bild dem Blick auf eine Frau. Ihre erhöhte Wachsamkeit, die durch eine subtile Geste ausgedrückt wird, die durch etwas verursacht wird, das wir nicht sehen, erzeugt eine Atmosphäre der Spannung und schafft ein Bild von etwas, das wir vielleicht schon einmal gesehen haben. Die Frauen sind in einem Moment erhöhter Aufmerksamkeit gefangen. Etwas Unbekanntes scheint sich zu ereignen. Die Fotos zeigen den Moment, kurz bevor die Frauen erkennen, was geschieht - den Moment höchster Spannung. Lustenberger inszeniert Situationen, die von den weiblichen Betrachterinnen erkannt werden können, als hätten sie sie selbst erlebt, obwohl sich ihre Erfahrung in vielen Fällen auf die virtuelle Realität von Film und Fernsehen beschränkt. Der Blick in ihren Fotografien ist ein wichtiges Werkzeug, um eine Erzählung zu schaffen und die Vorstellung des Zuschauers vom Schauen und Beobachten zu hinterfragen.
Ort des Geschehens
Was wie ein bestimmter Ort - vielleicht ein Tatort - aussieht, stellt die Wahrnehmung des Zuschauers in Frage. In Brigitte Lustenbergers 'Ort des Geschehens' sind die Bilder eine Täuschung, denn es ist kein Verbrechen begangen worden, es ist überhaupt nichts passiert - auch wenn das Bild dies suggeriert. Der Betrachter greift auf Erinnerungen an Filmszenen zurück, um das Bild zu lesen. Das Hauptthema dieser Serie ist nicht das, was wir auf einem Foto sehen, sondern was wir daraus machen. Die Abwesenheit von Inhalt verstärkt das Gefühl eines losgelösten Nichts, das zu einem Tropenbild des Mediums wird und Fragen darüber aufwirft, was Fotografie ist oder tut. Jede Fotografie hat einen individuellen Untertitel, der eine mögliche Lesart suggeriert und auf jede Szene eine fiktive Erzählung anspielt.
I Am Watching You
Drei junge Frauen im Profil, die im Stil der Porträtmalerei des 17. Jahrhunderts dargestellt sind, scheinen zu versuchen, den Blick von jemandem zu erhaschen. Ohne den Kopf zu bewegen, versuchen sie zu erkennen, wer sie anschaut. Sie bemühen sich um das Sehen, ohne den Kopf zu drehen; sie halten den Blick fest, vermeiden es aber, bemerkt zu werden. Brigitte Lustenbergers 'Ich beobachte dich' bezieht sich auf ihre andere Serie 'Beobachten'. Die Frauen in 'I Am Watching You' gehen einen Schritt weiter als die Frauen in 'Watching' und sprechen den Voyeur/Betrachter an, indem sie den Blick in die Kamera halten. Der Titel 'I Am Watching You' spricht sowohl den implizierten Voyeur im Bild bzw. den Betrachter des Bildes an, der die Frauen anschaut, als auch die Frau, die im Begriff ist, den implizierten Voyeur bzw. den Betrachter zu entdecken. Indem sie den Betrachter anschauen, fordern die Frauen ihn heraus und zwingen ihn, über seine eigene Aktivität des Schauens nachzudenken: Was oder wen schaue ich an - und wer schaut mich an?
Sights
Brigitte Lustenbergers Serie 'Sights' handelt von Orten, an denen etwas passiert sein könnte. Die Fotografien sind wie Filmstills - es fehlt das Vorher und Nachher. Die Abwesenheit auf dem Foto veranlasst den Betrachter, eine Erzählung darüber zu konstruieren, was vor der Aufnahme des Bildes gewesen sein könnte. Die Untertitel sind fiktive Namen, Geburts- und Sterbedaten, die eine mögliche Lesart suggerieren und auf jede Szene eine fiktive Erzählung anspielen.
Still Untitled
Stillleben zeigen metaphorisch die Vergänglichkeit und die von Menschenhand herbeigeführten Interventionen und Änderungen des Schicksals auf. Schon länger setzt sich Brigitte Lustenberger mit dem Thema der Vergänglichkeit auseinander – und zwar auf mehreren Ebenen. Da steht einerseits das Auswählen, das Inszenieren, das Beobachten beim 'Vergehen und Verwelken' der Gegenstände und das Fotografien, das Bannen auf Negativ, das dem Innehalten eines Augenblickes gleichkommt. So sinniert Lustenberger über das Leben und den Tod, unsere Vergänglichkeit – und arbeitet ihr entgegen, indem sie versucht dem Verfall (auf fotografische Art und Weise) entgegenzuwirken. Andererseits setzt sie sich intensiv mit dem Medium der Fotografie auseinander. Die Fotografie scheint die Vergänglichkeit aufzuhalten, weil sie Augenblicke festhält und scheinbar der Vergänglichkeit entreisst. Doch diese festgehaltenen Augenblicke sind schlussendlich nur die Repräsentationen des Vergangenen – ein (vermeintlicher) Abdruck eines Gegenstandes oder eines Geschehens. Dass alle ihre Fotografien in analoger Weise entstehen (Negativ und Fotografieabzug) ist daher gut verständlich. Das Licht hinterlässt einen 'Abdruck' auf dem Negativ, der dann wieder mittels einer Lichtquelle auf Fotopapier hinterlassen wird. Bei der digitalen Fotografie zeichnet zwar das Licht noch immer auf dem digitalen Chip, doch sobald das Bild weiterverarbeitet wird, wird es in binäre Codes übersetzt und die sichtbare Spur des Lichtes verschwindet in Nullen und Einsen. Sie arbeitet vornehmlich mit vorhandenem Licht, d.h. dass sie nur mit Fensterlicht arbeitete. Die Belichtungszeiten sind oft sehr lang, zwischen einer viertel Sekunde bis zu mehreren Minuten. Dies ergibt ein feines Licht, das die Sujets aus dem Dunkeln herausholt: das Licht zeichnet und malt – eine Hommage an die analoge Fotografie. Der Prozess des Spuren-hinterlassen auf dem Negativ wird so zur eigenen intensiven Erfahrung.
Windows
Die Nacht ist dunkel. Nur einige wenige Fenster erhellen die Schwärze der Nacht. Welche Geschichten, welche Menschen verstecken sich hinter den Scheiben? Wir können zusehen, aber wir können nur raten und wissen es nie. Ein kurzer Untertitel und der unheimliche Blickwinkel der Kamera implizieren eine Geschichte. Die grobe Körnung der Fotografien evoziert einen eher zweidimensionalen, fast malerischen Effekt. Der Betrachter kann sich nicht sicher sein, ob es sich bei den Häusern um reale oder Filmrequisiten handelt. Alfred Hitchcocks Heckfenster war eine grosse Inspiration für dieses Projekt - ein Spiel mit der menschlichen Neugierde auf das, was sich hinter den Fenstern und ihren Vorhängen verbergen könnte.